Marina Ewald (* 14. Dezember 1887 in Berlin – † 14. September 1976 in Salem) entstammte aus einem äußerst kultivierten Elternhaus. Sie war die Tochter des Internisten Prof. Dr. med. Anton Ewald (1845–1915), Leiter der Abteilung für Innere Medizin am Kaiserin-Augusta-Hospital in Berlin, und seiner Frau Martha Ewald, geb. Kindermann (1852–1947). Ihr Vater ließ Marina Ewald oft vom Unterricht befreien und unterrichtete sie selbst, die Mutter galt als feine Dame – sie lebte später als „Frau Geheimrat Ewald“ bis zu ihrem Tod in Salem. Martin Kölling beschreibt Ewalds Umfeld als „gebildeten, weltläufigen, großbürgerlichen Wannseekosmos“. Sie hatte Kurt Hahn bereits als Schülerin in Berlin kennengelernt, denn ihr Bruder war dessen Klassenkamerad. Mit Kurt Hahn plante sie bereits als Schülerin die Gründung einer neuen Schule nach eigenem Konzept. Mit dem 1908 erlangten Reifezeugnis am Sophiengymnasium Berlin war sie eine der ersten deutschen Abiturientinnen. Sie studierte ab dem WS 1908/09 als einer der ersten Studentinnen in Berlin, 1909/10 in St. Andrewʽs in Schottland und als Austauschstipendiatin 1912/13 in Bryn Mawr College in Philadelphia. 1913 bestand sie das Staatsexamen in Geographie, Chemie und Biologie. Nach einer kurzen Tätigkeit als Lehrerin am Landerziehungsheim für Mädchen in Trebschen wirkte sie während des Ersten Weltkriegs als wissenschaftliche Referentin im Kriegsausschuss für Öle und Fette. 1918/19 arbeitete sie an der Odenwaldschule.
Mitgründerin Salems
Kurt Hahn hatte ihr bereits während des Kriegs einen Vorschlag für die Gründung der von ihr geplanten Schule im Haus von Lina Richter bei Berlin gemacht. Als sie jedoch im September 1919 von Hahn das Angebot erhielt, pädagogische Mitarbeiterin bei der Gründung der Schule Schloss Salem zu werden, sagte die Oberlehrerin sofort zu. Sie wurde damit neben Prinz Max von Baden, Kurt Hahn und Karl Reinhardt zur vierten Gründungspersönlichkeit der. Sie wurde unter anderem von der Odenwaldschule abgeworben, um ihre Erfahrungen in der Koedukation zu nutzen. Die von Ewald gelebte weibliche Emanzipation wünschte Hahn laut Kölling jedoch nicht für Salem. Jocelin-Young urteilt jedoch, dass einer ihrer Hauptbeiträge war, dass Salem von Beginn an eine gemischte Schule für Jungen und Mädchen war. Als „rechte Hand“ Hahns und einer „zentralen Figur“ in Salem (Peter Friese) bzw. „Hahns klügste und weiseste Mitarbeiterin“ (Golo Mann) war sie insbesondere zu Beginn mit Fundraising und Managementaufgaben betraut. Daneben kümmerte sie sich anfangs jedoch auch um das Melken der schuleigenen Kuh und das Versorgen der kranken Kinder. Sie wirkte auch als Lehrerin und Erzieherin im Unterricht, las in der Liegezeit vor und teilte die Kinder beim Sport, der Landarbeit, bei den Innungen und der Handwerksausbildung ein. Die Einführung der Innungen und deren Ausbau ging auf ihre Initiative zurück. Auch für den Salemer Sport wirkte sie als jahrelange Stütze der Hockey-Damenmannschaft. Die Belastungen waren so stark, dass Ewald Mitte 1922 die Schule verlassen wollte. Da ohne sie das gesamte Projekt vor dem Zusammenbruch stand, konnte Hahn sie zum Bleiben bewegen. 1922/23 reiste sie angesichts der materiellen Notlage der Schule erstmals nach England und in die USA um – erfolgreich – die lebensnotwendigen Spendengelder für die Schule zu sammeln. Katja Mann wollte zu dieser Zeit ihren Sohn Klaus in Salem anmelden. Sie musste jedoch wieder unverrichteter Dinge abreisen, da Kurt Hahn ohne Marina Ewald keine Entscheidung treffen konnte – so Golo Mann in seinen Erinnerungen. 1924 begleitete sie erstmals eine Gruppe von Jungen und Mädchen nach Italien. 1925 führte sie 20 Salemer Jungs auf eine vierwöchige Expedition nach Finnland – eine der Basiserfahrungen von Kurt Hahns Erlebnistherapie Outword-Bound. 1925 gehörte sie mit Kurt Hahn und Lina Richter zu den Gründern des Fördervereins Vereinigung der Schule Schloss Salem e. V. 1927 reiste sie mit einer reinen Mädchengruppe nach England.
„Fräulein Ewald“
Im Mai 1929 übernahm sie die Leitung der Salem-Zweigschule (Realgymnasium) auf Schloss Spetzgart – der Höhepunkt ihrer Tätigkeit für die Schule so Jocelin-Young. Der Standort wurde insbesondere wegen der Nähe zum Bodensee gewählt, den sie in die Erziehung miteinbeziehen wollte. Als sie bei einem Ausflug die Burg Hohenfels erkundet hatte, überzeugte sie Kurt Hahn davon, dass dies die ideale Juniorenschule sei – 1931 wurde sie eröffnet. Mitte 1933 musste sie die Leitung Spetzgarts abgeben, da sie von Seiten des von den Nationalsozialisten eingesetzten Kommissars Prof. Adolf Müller „beurlaubt“ wurde: Sie hatte gesagt, dass Hitler eine Mörderbande anführen würde. Zudem war es das Ziel Müllers, die weiblichen Lehrkräfte durch männliche zu ersetzen und die Koedukation zu beenden. Da Ministerialrat Herbert Kraft Ewalds Äußerungen als bloße „Ungezogenheiten“ wertete, gelang es Blendinger 1934 sie von Ostern bis Juli als Leiterin der Spetzgarter Mädchen-Mentorate einzusetzen. Doch erneut wurde sie von den Behörden als „untragbar“ empfunden. Sie lebte daraufhin ohne Stellung in Salem, führte jedoch 1937 eine Gruppe von Jungen und Mädchen nach Island. Anschließend wurde sie endgültig suspendiert. In Zusammenarbeit mit dem im Schloss untergebrachten Forstamt erstellte sie eine Standortliste der seltenen Blumen und fotografierte diese. Außerdem besuchte sie 1934–1938 jedes Jahr Kurt Hahn in Gordonstoun. „Fräulein Ewald“ – wie sie bis zuletzt genannt wurde – fühlte laut Hanne Bauer stets mütterlichen Stolz über ihre Schülerinnen und Schüler. Nach dem Krieg urteilte sie traurig: „Im Krieg habe ich so viele Söhne verloren, daß man alle Plätze im Salemer Eßsaal mit ihnen besetzen könnte.“
Der gute Geist der Schule
Im November 1945 gehörte sie „in der Stunde der Frauen“ (Ilse Miscoll) zu den wesentlichen Wiederbegründerinnen der Schule Schloss Salem. Klaus Schultze berichtet in seinen Salemer Erinnerungen, dass Ewald die eigentliche Mentorin der Schule bzw. die Seele und das Symbol der Salemer Erziehung war: „Sie schien nie älter zu werden, ging mit weit ausholenden Schritten durch die Gänge und brachte für jedermann Verständnis auf. Auch noch in den ersten Nachkriegsjahren schien sie nichts an Jugendfrische eingebüßt zu haben.“ Christoph Graf von Schwerin, der kurz nach dem Krieg in die Schule eintrat, beschrieb sie bei seiner Ankunft im Internat 1948 so: „Eine mild lächelnde freundliche, alte Dame, von kleinem Wuchs, mit sportlich trainiertem Körper und stets begeistert blickenden Augen, führte ich in die Besonderheiten des Salemer Erziehungssystems ein. Sie war die letzte Pädagogin dieser berühmten Schule, die die Zusammenhänge dieses Systems noch begriff.“ 1947 nahm sie an der Gründung der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime an der Odenwaldschule teil, anschließend war sie in dessen Arbeitsausschuss tätig. Sie führte Salem bis 1948: „Mit ihrer unermüdlichen Tatkraft und reichen Erfahrung führte sie die Schule drei Jahre lang durch alle Schwierigkeiten und Nöte hindurch zu neuer Blüte.“ (Werner Köppen). Dabei war ihr laut Peter Friese die Wiederbelebung der Salemer Traditionen gelungen, mit der alleinigen Leitung des Schulbetriebs war sie jedoch überfordert. Sie arbeitete anschließend wieder als Lehrerhin und Mentorin. 1949 übernahm sie kurzzeitig die Leitung der Salem-Zweigschule Kirchberg, im Ostertrimester 1955 leitete sie interimistisch Spetzgart. 1952 wirkte sie als Abteilungsleiterin der Conference of Internationally-minded Schools (CIS). 1964 gehörte sie zu den Anregerinnen des Salemer Sozialdiensts, 1972 war sie vermutlich – so Ilse Miscoll – die „ungenannte Geberin“, welche der Schule aus einer Finanzmisere half. Kein Wunder, dass Golo Mann sie als „guten Geist“ der Schule bezeichnete, selbst als sie als „uralte Dame“ zurückgezogen in zwei Zimmern des Schlosses wohnte – sie führte 56 Jahre ihres Daseins ein Leben für Salem.
Die zis-Gründerin
Auf Veranlassung des Salemer Schulleiters Prinz Georg Wilhelm von Hannover traf sich Ewald 1955 mit Jean Walter. Dieser hatte die Zellidja-Stiftung zur Vergabe von Reisestipendien gegründet. Marina Ewald übertrug das Konzept nach Salem. Mit Beharrlichkeit und Charme warb sie um ideelle und finanzielle Unterstützer für die Reisestipendien. Bereits 1956 gingen die ersten Stipendiaten auf Reise – zunächst noch finanziert von Marina Ewald selbst. Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Stipendienprogramms erhielt sie 1966 vom französischen Bildungsministerium die Ernennung zum Chevalier dans L’Ordre des Palmes Académiques, der höchsten Auszeichnung, die an Ausländer für die Verdienste um die französische Kultur vergeben wird. „Wieviel man Marina Ewald in den letzten zehn Jahren zu verdanken hat“, so Jocelin-Young angesichts ihres Einsatzes für die Reisestipendien, „wird nie zu errechnen sein.“ Sie lebte nach ihrem Ruhestand bis zu ihrem Tod im Schloss Salem und betreute weiterhin das Stipendienprogramm. Für dieses gewann sie die späteren Mitarbeiterinnen Hanne Bauer und Liane Wuttig. Ewald nahm noch Anteil an der Entstehung des Trägervereins zis – Stiftung für Studienreisen, der im Jahr ihres Todes gegründet wurde.
Ehrendes Andenken
Am 5. Juni 1987 wurde anlässlich ihres 100. Geburtstags im Rahmen einer „Marina-Ewald-Feier“ auf dem Spetzgart eine „Marina-Ewald-Linde“ gepflanzt. An ihren Beitrag für das seither von über 2.000 Stipendiaten genutzte selbstbestimmte Reisen, erinnert der ebenfalls 1987 von Altsalemern gestiftete Marina-Ewald-Preis der zis. Diese hat darüber hinaus 2018 die im Kurt-Hahn-Archiv befindlichen Erinnerungen Marina Ewalds (Redaktion Rainer Linke, 138 Seiten) in Deutsch und Französisch herausgegeben.