12/17/2021
Einweihung der Denkstätte "Amicus hostis"
Am Volkstrauertag wurde vor dem Betsaal eine Denk-Stätte übergeben, die die Schulgemeinschaft zum Frieden mahnt. Diese Bronzestatuette wurde 1949 von Jocelin Winthrop-Young der Burg Hohenfels gestiftet.

Hier die Rede von Sophie Weidlich, Tochter von Jocelin Winthrop-Young, anlässlich der Übergabe:

Als Junge besuchte mein Vater, Jocelin Winthrop-Young, zusammen mit seinem Vater die Schule Eton. Dort gibt es Wände, auf denen die im Krieg gefallenen Etonians namentlich aufgelistet sind, damit sie nie vergessen werden. Meinen Vater beeindruckte besonders eine Mauer, auf der ehemalige Etonians aufgelistet sind, die auf der Seite des Feindes gekämpft hatten und getötet worden waren. Der Amicus Hostis - der Freund unter den Feinden.

Helmuth Bastian, Heinrich Ihrig, Horst von Papart, Sigmund von Rotenhan, Hans Jürgen Ruef, Hans Richard Schraube, Wiprecht von der Schulenburg und Christian von Steinaecker

Diese acht jungen Männer sind im 2. Weltkrieg für Deutschland gefallen. Zuvor besuchten sie den Hohenfels zur selben Zeit wie mein Vater. Dieser überlebte auf der Gegenseite in der Royal Navy und wollte als ihr Freund unter den Feinden, dass ihre Namen niemals vergessen würden. AMICUS HOSTIS – Freund unter den Feinden.

1931 kam mein Vater als 11-jähriger englischer Junge auf die Burg Hohenfels. Es sollten die glücklichsten Schuljahre seines Lebens werden, trotz der Tatsache, dass er anfangs kein Wort Deutsch sprach und der zunehmenden nationalsozialistischen Bedrohung, von der er im Wesentlichen durch Briefe seiner Eltern und die englische Presse erfuhr. Er berichtete mir von einer Nacht, die ihm sein ganzes Leben in Erinnerung blieb: nach Zubettgehzeit kam ein jüdischer Mitschüler namens Erwin zu ihm ins Zimmer und bat ihn hinaus auf den Gang. Dort flüsterte Erwin ihm zu, dass er sofort ins Tal zur Holzhandlung unterhalb der Burg laufen würde, wo ihn seine Eltern abholen wollten. Sie würden dann in die Schweiz fahren. Er bat meinen Vater, vorerst mit niemand darüber zu sprechen und erst später alle seine Freunde und auch die Lehrer zu grüßen. Mein Vater versprach dies zu tun, wunderte sich aber warum Erwin ausgerechnet ihn um dieses Versprechen bat. Später wurde ihm klar: als Ausländer auf dem Hohenfels war mein Vater einer der Wenigen, dem Erwin damals glaubte vertrauen zu können.

Auf dem Hohenfels konnte mein Vater mit seinen Freunden nach Herzenslust im Wald herumstrolchen und auf dem Galgenhügel Räuber und Gendarm spielen. Ruhe und Friede dort oben wurden selten gestört, höchstens durch Kurt Hahns Auto, das man von weitem schon den Hügel herauffahren hörte, denn sonst gab es kaum Verkehr. Mein Vater liebte den Hohenfels genauso sehr, wie er später den Spetzgart hasste, u.a. weil der damalige Direktor Meese ihm den Preis als Gewinner eines Hochsprungwettbewerbs mit den Worten verwehrte „Du bist kein Deutscher“. So lief er an freien Wochenenden immer wieder zu Fuß vom Spetzgart auf den Hohenfels, um seine Freunde zu besuchen.

Nach seinem Schulabschluss in Gordonstoun ging er zur Royal Navy. Kurt Hahn besuchte ihn 1940 kurz vor dem Auslaufen seines Schnellbootes aus dem Hafen in Liverpool und schenkte ihm einen kleinen Reisewecker, mit der Widmung „Jocelin Winthrop Young. With love from Salem and Gordonstoun. January 1940“.

Wenige Jahre nach Ende des Krieges wollte mein Vater dann seinerseits seiner – inzwischen gefallenen – Hohenfelser Freunde gedenken, und seine Wahl fiel auf diese Figur, die er 1949 dem Hohenfels stiftete.

Diese Bronzestatuette stellt auf so eindringliche Weise die Verzweiflung und Trauer über die grauenvolle Sinnlosigkeit des Tötens dar, die Shakespeares König Lear empfindet, während er sich hier über seine tote Tochter Cordelia beugt. Erschaffen wurde sie von einem anderen Salemer, Martin Krause, und sie kam über meinen Großvater, der ein Freund Kurt Hahns war, in den Besitz meines Vaters.

Der um sieben Jahre ältere Schüler Martin Krause war selbst nie Schüler auf dem Hohenfels, sondern in Salem. Er war, wie Heinrich Blendinger später in seinem Nachruf schreiben sollte, (ich zitiere) „viel zu impulsiv um das Leben sich ruhig abrollen zu lassen. Begeistert stürmte er hinein, und da ihm seine Phantasie sein Ziel tausendfach bedeutsamer hinstellte, als andere es zu sehen vermochten, blieben die dramatischen Verwicklungen nicht aus“.  Nachdem er 1933 mit ein paar Freunden unerlaubt nach Mailand geradelt war, bekam er nach seiner Rückkehr in Salem Zimmerarrest. Verdrossen bat er um etwas Ton und modellierte, unter anderem, dieses wunderbare Kunstwerk. Als Kurt Hahn es sah, fragte er ihn, warum denn niemand wüsste, dass er so begabt sei, warum er dieses bislang nie gezeigt habe. Da antwortete Martin Krause: „Ich kann das nur machen, wenn ich traurig bin. Ich bin hier in Salem aber nie traurig.“

Statt aber seiner Begabung zu folgen, wurde Martin Krause wenige Jahre später Flieger bei der Luftwaffe und 1941 im Kriegseinsatz getötet.

Nachdem mein Vater die Bronze 1949 an den Hohenfels übergeben hatte, hing sie dort viele Jahre im Wohnzimmer an der Wand, bis sie 2005 in der Sakristei der Kapelle ihren Platz fand. Nach dem Verkauf der Burg hat sie nun den Weg nach Salem zurückgefunden, wo sie hier diesen wunderbaren Platz erhalten hat.

 Jocelin Winthrop-Young

Jocelin Winthrop-Young besuchte ab 1931 als Schüler die Burg Hohenfels und Schloss Spetzgart. 1933 folgte er Kurt Hahn, der ein Freund seiner Eltern war, nach Schottland und erlebte dort den Aufbau von Gordonstoun. Von 1939 bis 1946 nahm er als Marineoffizier am 2. Weltkrieg teil. Bei einem Telefongespräch mit Kurt Hahn schlug dieser ihm vor, nach Griechenland zu gehen, um Privatlehrer des Kronprinzen Konstantin zu werden. 1949 bis 1959 gründete und leitete er die griechische Salem School Anavryta bei Athen. Nach einer Zwischenstation in der Pressestelle des Auswärtigen Amtes in London, übernahm er von 1964 bis 1973 die lnternatsleitung in Salem. In dieser Zeit verfügte er, dass die Einsatzdienste für alle Schüler:innen obligatorisch seien, gründete 1965 das Kurt-Hahn-Archiv und 1966 die Round Square Conference in Salem, deren langjähriger Direktor er war. Am 8. Februar 2012 starb er im Alter von 92 Jahren.

Seine Tochter Sophie Weidlich legte ihr Abitur an der Schule Schloss Salem ab. 1983 kehrte sie an die Schule Schloss Salem zurück, um in Salem und Spetzgart Mentorin zu werden. Sie arbeitete 10 Jahre in der Öffentlichkeitsarbeit und leitete von 1990 bis 2010 das Kurt-Hahn-Archiv. Von 2007 bis 2019 arbeitete sie zusätzlich als Internatsberaterin. 2020 trat sie in den Ruhestand.

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